Von Susanne Krauzig, Erstveröffentlichung am 14.02.2024 - Sie stehen für Freiheit und Unabhängigkeit, sind schnell, scheu und meiden den Menschen. Aus irgendeinem Grund sind Wildpferde für viele Leute ein Sehnsuchtsmotiv, das sie zum Träumen verleitet. Wilde Pferde im Galopp sind beliebte Druckmotive für T-Shirts, Kaffeetassen, Strandhandtücher und so weiter. Dummerweise gibt es wesentlich mehr Wildpferde-Gadgets als seriöse Informationen über frei lebende Pferdeherden. Leider werden im Internet häufig auch Fehleinschätzungen und Halbwissen geteilt. Also hat unsere Redaktion eine intensive Recherche gestartet, um euch mit fundierten Informationen zum Thema „Wildpferde“ zu versorgen.
Die ursprünglichen Wildpferde (Equus ferus ferus) sind schon seit der Mittelsteinzeit (dem Mesolithikum) ausgestorben. Genomstudien haben gezeigt, dass es heutzutage keine Wildpferde Rassen mit den Genen von Equus ferus ferus mehr gibt. Auch der ausgestorbene europäische Tarpan und das vom Aussterben bedrohte Przewalskipferd unterscheiden sich genetisch vom Ur-Wildpferd.
Viele Wissenschaftler machen für das Aussterben dieser Pferde die Erderwärmung nach der letzten Eiszeit verantwortlich, weil sich damals ausgedehnte Steppenlandschaften in dichte Wälder verwandelten. Große Säugetiere wie Auerochsen, Bisons, Riesenhirsche und eben auch die ursprünglichen Wildpferde fanden deshalb laut verschiedener Studien nicht mehr genügend Nahrung, um zu überleben.
Es stellt sich aber wieder einmal die Frage, was zuerst da war: die Henne oder das Ei? Im Mesolithikum begannen nämlich neben den Neandertalern auch die modernen Menschen, sich auf verschiedenen Kontinenten stark zu vermehren – und beide jagten mit Vorliebe große Weidetiere. Theoretisch ist es also auch möglich, dass sich die offenen Graslandschaften langsam zu Wäldern entwickelten, weil es nicht mehr genügend Weidetiere „zur Landschaftspflege“ gab. Vielleicht waren es ja die Menschen, die für das Aussterben der damaligen Weidetiere verantwortlich waren?
Wie uns die Erdgeschichte gezeigt hat, sind Wildpferde wesentlich anpassungsfähiger und härter im Nehmen, als bisher angenommen wurde. Eine neuere Studie des Paläoökologen Dr. Robert Sommer an der CAU in Kiel und des Archäozoologen Dr. Ulrich Schmölcke an der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen hat eindeutige Resultate erbracht. Die Ur-Wildpferde waren die einzigen Tiere der eiszeitlichen Megafauna, die sowohl die Eiszeit als auch den darauf folgenden Klimawandel mit stark erhöhten Temperaturen längere Zeit überlebt haben.
Bisher waren die meisten Wissenschaftler der Meinung gewesen, dass die Urahnen unserer Pferde, wie so viele andere große Säugetiere, kurz nach der Eiszeit ausstarben. Schmölcke und Sommer konnten aber belegen, dass Ur-Wildpferde noch mehr als 2.000 Jahre nach der Eiszeit in den nördlichen Regionen Mitteleuropas lebten. Ausgrabungen – unter anderem aus Mecklenburg-Vorpommern – bewiesen, dass die ursprünglichen Wildpferde bis mindestens 8.400 vor Christus überlebt haben. Allerdings hatte sich ungefähr um 7.000 vor Christus ihre Zahl so drastisch reduziert, dass sie am Aussterben waren.
Aber jetzt wird es spannend: Etwa um 5.500 vor Christus fingen die Steinzeitmenschen an, sesshaft zu werden. Sie gingen wesentlich seltener auf die Jagd und rodeten Wälder, um Äcker anzulegen. Außerdem fingen sie an, Vieh zu züchten. Und plötzlich vermehrten sich die wenigen letzten Wildpferde beinahe explosiv. Trotzdem dauerte es noch lange, bis die damaligen Menschen lernten, diese Wildpferde zu zähmen und sie als Hauspferde zu halten. Belege über domestizierte Pferde (Hauspferde) in Europa existieren erst ab dem ersten Jahrtausend vor Christus.
Das Leben in Gefangenschaft beeinflusste die Gene der gezähmten Pferde. Die Menschen verwendeten zum Beispiel eher ruhigere Pferdetypen zur Zucht, die einfacher zur Kooperation zu bewegen waren als die wilderen Typen. Für manche Zwecke brauchten sie kleinere, für andere Zwecke wieder größere Pferde. So entstanden erste „Hauspferderassen“, die aber auch immer wieder genetischen Austausch mit „den Wilden“ hatten. Und auf diese Weise gingen mit der Zeit die reinen Gene der ursprünglichen Wildpferde verloren.
Rewilding Europe ist ein Projekt zur Wiederherstellung besserer ökologischer Gegebenheiten in Europa. Die dort engagierten Wissenschaftler und Aktivisten haben unter anderem einige Gruppen geeigneter Pferderassen in verschiedenen Regionen Europas „ausgewildert“. Bisher war Rewilding Europe damit erfolgreich: Sie haben inzwischen mehrere Standorte von Portugal bis nach Rumänien etabliert, an denen kleine Herden von lokalen Hauspferderassen völlig autark – ohne jeden menschlichen Eingriff – in freier Natur leben.
Das Interessante dabei ist, dass sich die Gene dieser Pferde durch natürliche Auslese mit der Zeit optimal an ihre dortige Umgebung anpassen und dem Genom der Ur-Wildpferde in der jeweiligen Region immer ähnlicher werden. Es sind zwar immer noch Hauspferde (Equus ferus caballus), aber sie entwickeln über mehrere Generationen hinweg immer mehr Eigenschaften von echten Wildpferden. Im Folgenden nennen wir übrigens der Einfachheit halber sämtliche frei lebenden Pferde „Wildpferde“.
Ein Großteil der wilden Pferde des 21. Jahrhunderts lebt nicht anders als die Ur-Wildpferde der Steinzeit. Allerdings hat der Mensch die Umwelt so stark verändert, dass es nur noch wenige Regionen auf der Welt gibt, in denen wilde Pferde frei durch die Natur streifen können. Deshalb gibt es zahlreiche Pferdebestände, die halbwild gehalten werden, wie zum Beispiel Wildpferde in Deutschland, die zur Landschaftspflege eingesetzt werden. Oder die Dülmener Wildpferde auf den Ländereien des Herzogs von Croy.
Die Lebensweise der halbwilden Herden unterscheiden sich von derjenigen der autark lebenden Wildpferde in vieler Hinsicht. In harten Wintern erhalten sie zum Beispiel zusätzliches Futter. Und selbst wenn sie in riesigen Arealen untergebracht sind: Ihr Lebensraum ist durch Zäune begrenzt. Sie haben auch keine natürlichen Fressfeinde, die sie jagen. Zudem werden aus den Herden häufig die Jährlingshengste entfernt, um das Gruppenmanagement einfacher zu gestalten. Aber ansonsten ähnelt ihr Leben dem ihrer völlig frei lebenden Verwandten.
Das Leben eines wilden Pferds in freier Natur ist allerdings kein Zuckerschlecken. In Amerika wird es von Berglöwen gejagt und in Europa von Wölfen und Wildkatzen. Es muss mit Eis, Schnee, Regen, Dürre, Hitze und Wasserknappheit zurecht kommen, um zu überleben. Naturkatastrophen wie Brände, Überschwemmungen oder extreme Hitzewellen fordern zahlreiche Todesopfer. Und bei Futterknappheit verhungern die schwächsten Mitglieder einer Herde. Aber gerade diese harte natürliche Auslese hat es ermöglicht, dass es auch heute noch Pferde gibt, die sich „allein durchschlagen“ können. Unsere heutigen „echten“ Wildpferde sind noch genauso fit wie ihre Urahnen.
Sie haben ein dichtes langes Winterfell, das sie zuverlässig vor Regen und Schnee schützt. Wildpferde scharren den Schnee beiseite, um im Winter das darunter liegende Gras zu erreichen und nagen Knospen sowie Baumrinden ab, um sich mit benötigten Vitaminen und Mineralstoffen zu versorgen. In verschiedenen Verhaltensstudien wurde beobachtet, dass sie offenbar instinktiv wissen, welche Kräuter und andere Substanzen ihr Organismus braucht, wenn es ihnen nicht gut geht.
Wilde Pferde haben ein fantastisches Orientierungsvermögen und erinnern sich genau an alle Features, die in einer Gegend für ihr Überleben relevant sind – auch, wenn sie dort nur ein einziges Mal waren. Wasserstellen können sie auf größere Entfernungen riechen. Sie haben gut funktionierende, langfristige Sozialstrukturen, die den einzelnen Gruppen Schutz gewähren und gleichzeitig Inzucht verhindern. Hufe und Knochen eines Wildpferds sind im allgemeinen härter und belastbarer als die seiner zahmen Artgenossen.
Sie sind zwar jederzeit fluchtbereit, können aber auch total entspannen. Ein Wildpferd hat eigentlich ein stressiges Leben. Aber offensichtlich ist es für diese Art von Stress ausgelegt. Du wirst nie ein wildes Pferd sehen, das nervös herumtänzelt oder Symptome von Dauerstress zeigt. Solche Verhaltensweisen entstehen nur bei domestizierten Pferden durch den Eingriff des Menschen in ihre natürliche Lebensweise. Die „Wilden“ sind eher cool im Kopf – was an den zahlreichen Umweltreizen liegt, mit denen sie andauernd konfrontiert werden.
Hinzu kommt, dass ranghohe Tiere oft Lösungen finden müssen, um ihre Herde aus gefährlichen Situationen zu retten. Wenn zum Beispiel ein Feuer hinter der Herde ausgebrochen ist und ein Fluss ihren Fluchtweg versperrt, ist „Köpfchen“ angesagt. Dann müssen die ranghöchsten Stuten und der Hengst kooperieren, um die Familie zusammenzuhalten und an einer geeigneten Stelle ans andere Ufer zu bringen. Wilde Pferde haben in ihrem Leben viele Herausforderungen zu bewältigen. Deshalb sind sie oft pfiffiger und cooler als unsere Hauspferde.
Die meisten echten „Wilden“ unserer Epoche leben in den USA (Mustangs) und in Australien (Brumbies). Aber auch bei uns in Europa gibt es noch einige Länder, die über so viel unbesiedelte Natur verfügen, dass dort wilde Pferde gefahrlos so leben können, wie sie es schon vor Tausenden von Jahren getan haben. Die Herden der Wildpferde in Amerika werden von staatlichen Institutionen gemanagt.
In den USA wird die Fortpflanzung der frei lebenden Pferde weitgehend durch ein Medikament kontrolliert, das die Empfängnis der meisten Stuten etwa drei Jahre lang unterbindet. Die Hengste werden nicht kastriert, weil sie dadurch ihre natürlichen Verhaltensweisen verlieren würden. Typisches Hengsverhalten ist aber notwendig für die intakte Sozialstruktur der Herden. Im Vergleich zu den australischen Brumbies geht es den amerikanischen Mustangs richtig gut.
Die Brumbies in Australien werden ebenfalls von Behörden gemanagt. Allerdings werden dort die Geburten nicht kontrolliert. Wildpferde in Australien haben ihre Reviere in den unterschiedlichsten Lebensräumen – von wüstenartigen Landstrichen bis hin zu den Australische Alpen. Da sie keine natürlichen Feinde haben und ihre Geburten bisher noch nicht kontrolliert werden, bedrohen sie als invasive Tierart einheimische Ökosysteme. Manchmal wurden Brumbies deshalb schon vom Helikopter aus abgeschossen.
In Europa haben sich frei lebende Pferdeherden noch nicht so stark vermehrt, dass sie Ökosysteme bedrohen. Außerdem haben sie bei uns einige Fressfeinde, die Fohlen und schwache, kranke oder alte Tiere bejagen. Wölfe, eventuell auch Schakale, Luchse und weitere Wildkatzen tragen dadurch zum ökologischen Gleichgewicht bei. Trotzdem wird es auch bei uns mit der Zeit notwendig sein, die Herden frei lebender Wildpferde von staatlicher Seite her zu managen. Wenn ihr neugierig seid, wo Wilde Pferde in Europa leben, klickt einfach auf den Link.
Ihr werdet überrascht sein, in wie vielen Ländern Europas noch Pferde in freien oder halbwilden Herdenverbänden leben. Da kommt natürlich bei einigen Pferdefreunden Abenteuerlust auf. Einmal eine frei lebende Pferdeherde hautnah erleben, durch ihren Lebensraum streifen und Fotos von ihnen schießen! Aber „die Wildem“ warten nicht ungeduldig auf Urlauber, die ihr gelungenes Portrait auf Instagram veröffentlichen wollen. Ihnen ist Publicity eher egal und sie ergreifen die Flucht, wenn ihnen Menschen zu nahe kommen.
Mit „Halbwilden“ wie den Dülmener Wildpferden, den Camargue-Pferden, den frei lebenden Islandpferden oder den Exmoor-Ponys seid ihr da schon besser bedient. Die haben den Geruch des Menschen schon mit erfreulichen Ereignissen wie Futtergaben im Winter verknüpft und laufen nicht so schnell davon. Um „echte“ Wildpferde überhaupt zu finden, braucht ihr einen ortskundigen Guide. Ansonsten wandert ihr tagelang ihren Hufabdrücken hinterher und die Herde ist immer genau da, wo ihr gerade nicht seid…
Wer in Deutschland "einen Wilden" kaufen möchte, hat mehrere Möglichkeiten. Dülmener Wildpferde werden jedes Jahr im Mai zusammengetrieben, um die neuen Jährlingshengste von den einzelnen Pferdefamilien zu trennen. Bei dem traditionellen Spektakel werden die „wilden Jungs“ von der großen Herde getrennt und anschließend versteigert. Diese 100 % artgerecht aufgewachsenen Jährlinge werden zuverlässige Freizeitpartner – sofern ihr Wildpferde ausbilden könnt. Mein Onkel hatte in den siebziger Jahren ein Gespann „wilder“ Dülmener vor der Kutsche, mit dem er am Wochenende quer durch Frankfurt gefahren ist.
Seit 2017 hat sich zudem eine spektakuläre Show auf dem CHIO Gelände in Aachen etabliert, bei der amerikanische Mustangs versteigert werden. Beim sogenannten „Mustang Makeover“ werden jedes Jahr mehrere amerikanische Mustangs vorgestellt, die zuvor etwa drei Monate lang von versierten Trainern in Europa ausgebildet wurden. Im Anschluss daran findet eine öffentliche Versteigerung statt. Auch wenn sich nicht jeder Normalverdiener einen gezähmten Mustang leisten kann: Allein das Spektakel lohnt den Eintrittspreis.
Wer an anderen Standorten in Europa Wildpferde kaufen möchte, sollte besser nicht völlig auf eigene Faust losziehen. Macht lieber bei einer Wildpferde-Safari mit und knüpft dabei eure persönlichen Kontakte zu den Einheimischen. Außerdem solltet ihr bei eurem Abenteuer unbedingt gute Freunde dabei haben, die ein grundlegendes Wissen über Pferdekrankheiten haben und in der Lage sind, wenigstens ungefähr das Zahnalter eines Pferdes zu schätzen. Die Wildpferde in der EU sollten zwar gechippt sein, aber viele der Jungpferde haben noch keinen Chip.
Quellenangaben
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9736110/
https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0132359
https://rewildingeurope.com/wp-content/uploads/publications/rewilding-horses-in-europe/index.html
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