Von Christina Meier, Erstveröffentlichung am 03.07.2024 - Reiten ohne Gebiss ist für viele Reiter ein unbekanntes Neuland. Die Gründe für gebissloses Reiten sind vielfältig, doch den meisten geht es dabei um das Wohlbefinden ihres Pferdes, das für Pferdefreunde ohnehin immer an erster Stelle stehen sollte.
Das heißt nicht, dass das Reiten mit Gebiss verteufelt werden muss und eine reine Quälerei für dein Pferd ist. Aber gerade im Hinblick auf pferdefreundliches Reiten stellt das Reiten ohne Gebiss eine sinnvolle Alternative dar.
Um die eigenen reiterlichen Fähigkeiten sowie die Kommunikation zwischen dir und deinem Pferd zu vertiefen, eignet sich unter anderem das Reiten ohne Trense mit Halsring. Wenn du gebisslos reiten möchtest, legst du den Fokus – auch mit Zügel – auf deine Sitzhaltung sowie deine Gewichts- und Schenkelhilfen. Deine Hände geben statt der gewohnten Zügelhilfen dennoch feine Impulse. Denn das gebisslose Reiten erfordert und fördert eine neue Art der Sensibilität und des Vertrauens in der Kommunikation zwischen dir und deinem Pferd.
Auch wenn es vielleicht nicht für alle und jeden das Richtige sein mag, gebisslos zu reiten, so stellt es doch für das Pferd in jedem Fall eine wohltuende Alternative zum Tragen einer Trense mit Gebiss dar. Den Worten und Studien des amerikanischen Professors Robert Cook zufolge soll das Gebiss sogar verschiedene Krankheiten verursachen, zu Veränderungen und Schmerzen im Kieferbereich führen können sowie für diverse Verspannungen verantwortlich sein. Selbst Panikattacken können laut der entsprechenden Studien Robert Cooks durch das Gebiss verursacht werden.
Tatsächlich empfinden viele Pferde das metallene Gebiss im Maul als unangenehmen Fremdkörper und spannen bereits beim Auftrensen sämtliche Muskeln im Kopfbereich an. Ein aufmerksamer Reiter und Pferdefreund kann dies meist deutlich erkennen. Es gibt aber auch Pferde, die gesundheitliche Probleme mit den Zähnen oder dem Zahnfleisch haben. Gebisslos zu reiten ist also auch hier von Vorteil für das Pferd, denn es kann – auch ohne Gebiss – weiterhin täglich bewegt und sogar geritten werden.
Pferde mit Kieferproblemen oder junge Pferde, die sich im Zahnwechsel befinden, profitieren ebenfalls vom Reiten ohne Gebiss im Pferdemaul. Zudem kann ein Pferd ohne den ständigen Druck des Gebisses wesentlich freier atmen. Daneben fördert das gebisslose Reiten auch das Vertrauen zwischen Reiter und Pferd. Vor allem Anfänger, die unwissentlich dazu neigen, die Zügel als Notfallbremse und zum Steuern zu verwenden, sollten ruhig einmal einige Zeit gebisslos reiten, wobei hiervon Pferd und Reiter gleichermaßen profitieren.
Ob beim Anfänger-Reitunterricht oder bei Wanderritten: Überall da, wo Pferde keine dressurmäßigen Spitzenleistungen erbringen sollen, habe ich mit gebisslosem Reiten nur beste Erfahrungen gemacht. Die Pferde gehen dabei mit einer gebisslosen Trense entspannter und sind kooperativer, weil unerfahrene oder unkonzentrierte Reiterhände ihnen nicht unabsichtlich Schmerzen zufügen können. Was das „Pferd anhalten“ (die ganze Parade) betrifft, war das meiner Erfahrung nach bisher noch nie ein Problem.
Wenn Reiter ihre Gewichtshilfen richtig einsetzen, reagiert ein halbwegs gut ausgebildetes Pferd auf das Signal zum Anhalten auch völlig ohne Zügelhilfen. Es ist ein Trugschluss, dass Trense oder Kandare sich bei einem davon stürmenden Pferd als „Notbremse“ eignen. Warum sollte ein Fluchttier stehen bleiben, nur weil man nichts anderes unternimmt, als ihm Schmerzen zuzufügen? Ist es aus seiner Sicht nicht logischer, noch schneller davonzurennen, wenn zu dem ursprünglichen Fluchtanreiz auch noch Schmerzen hinzukommen?
Warum ich andauernd Schmerzen thematisiere? Mit Gebiss reiten bedeutet natürlich nicht automatisch, dass du deinem Pferd Schmerzen bereitest. Ein gut ausgebildetes Pferd ist darauf dressiert, die gewünschten Reaktionen auf Zügelhilfen zu zeigen, bevor das Gebiss eine schmerzhafte Wirkung entfaltet. Aber alle Gebisse – und auch viele gebisslose Zäumungen – wurden dazu entwickelt, um Pferden im „Nicht-Gehorsamsfall“ Schmerzen zu bereiten.
Leg mal einen Stift auf deinen Nasenrücken und übe damit Druck aus. Dieses Gefühl hat ein Pferd in seinem Unterkiefer, wenn du eine Parade mit einem einfachen Stangengebiss reitest. Kandaren- und Trensengebisse verstärken diesen Druck aber um ein Vielfaches. Bei der Trense kommt noch der „Nussknacker-Effekt“ hinzu, und dass sie – im Gegensatz zur Kandare – keinerlei „Vorwarnphase“ hat. Ich finde, dass Gebisse nur in die Hände von konzentrierten und wirklich gut ausgebildeten Reitern gehören. Meiner Meinung nach sind alle anderen mit gebisslosem Reiten weitaus besser bedient.
Für Anfänger, die gebisslos reiten möchten, eignet sich vor allem das Sidepull. Es erinnert sehr an ein herkömmliches Halfter. Für eine bessere Stabilisierung ist der Nasenriemen jedoch zusätzlich mit den Backenstücken verbunden. Das Sidepull sitzt bestenfalls so passgenau am Pferdekopf, dass auch die Zügelwirkung einerseits deutlich spürbar, andererseits möglichst sanft und ohne Hebelwirkung stattfindet. Ein Bitless Bridle auf Deutsch: gebisslose Trense – ähnelt in seiner eher sanften Wirkung dem Sidepull, solange der Reiter auf die mögliche und recht verbreitete Zügelumlenkung unterhalb des Pferdekopfes verzichtet.
Das im Westernreiten so bekannte, auch als kalifornisches Hackamore bezeichnete, Bosal ist hingegen nicht unbedingt für unerfahrene Reiter geeignet. Es bietet sich jedoch für die erste Ausbildung eines Pferdes an. Gebisslos Reiten für Anfänger heißt nicht, dass hier jedes gebisslose Zaumzeug bedenkenlos zum Einsatz kommen kann. Wenn du als Anfänger gebisslos reiten möchtest, solltest du dich also am besten vorab vom Fachmann ausführlich darüber informieren lassen, welche gebisslosen Zäumungen sich für dich und dein Pferd gleichermaßen gut eignen.
Sicher: Gebisslos reiten hat Vor und Nachteile. Und im Sinne der FN kann man dabei vielleicht nicht immer von einer korrekten Anlehnung sprechen. Dennoch ist die korrekte Anlehnung, also die sanft-federnde Verbindung mit dem Pferdemaul, ohnehin nicht unbedingt die einzige Form von Anlehnung. Denn auch zwischen Reiterhand und Pferdenase kann eine solche Verbindung zum eigentlichen Ziel der Anlehnung führen: das Pferd dabei zu unterstützen, mit einem Reiter auf seinem Rücken in sein Gleichgewicht und seine natürliche Selbsthaltung zu finden.
Ob versammelte Selbsthaltung, angeblich nicht stattfindende Anlehnung oder andere, teils haltlose Argumente gegen das gebisslose Reiten: Wenn du gebisslos reiten möchtest, lass dich am besten nicht davon abhalten und sammle deine eigenen Erfahrungen. Das harmonische Zusammenspiel zwischen dir und deinem Pferd ist ein Lernprozess für euch beide, welcher von der Seite deines Pferdes aus stets – ob mit herkömmlicher Trense oder ohne Gebiss – auf Freiwilligkeit und Freude an der gemeinsamen Arbeit beruhen sollte.
Beim Glücksrad Pferd / LG-Zaum handelt es sich um eine gebisslose Zäumung mit sechs Speichen, die eine individuelles Einstellung der Nasen- und Kinnriemen sowie der Zügel ermöglichen. Mit dieser Zäumung – einer Entwicklung der bekannten Dressurreiterin Monika Lehmenkühler – kann die für das Hackamore typische Hebelwirkung je nach Bedarf verstärkt, aber auch ausgeschlossen werden. Ob und wie intensiv die Hebelwirkung stattfindet, bestimmt allein die Art der Verschnallung.
Auch mit dem LG-Zaum – dem ursprünglichen Glücksrad – ist es ohne Probleme möglich, ein Pferd gebisslos in Anlehnung zu reiten. Dressurreiten und gebissloses Reiten schließen einander also keinesfalls aus. Erfahrene Reiter, die gebisslos reiten, wissen, dass sich ihr Pferd auch ohne das gewohnte Gebiss versammeln und biegen lässt und sich zunehmend lockert und entspannt. Es kommt eben nicht nur auf die Zügelführung an. Das wirst du recht schnell merken, wenn du anfängst, gebisslos zu reiten.
Wenn du gebisslos reiten möchtest, sollte die gebisslose Zäumung natürlich zum Charakter und Körperbau deines Pferdes passen. Ansonsten kannst du grundsätzlich so gut wie jedes Pferd gebisslos reiten. Für eher starke Pferde, die auch gern einmal mit dem Kopf durch die Wand stürmen wollen, können neben dem Hackamore auch gebisslose Zäumungen wie das klassische Bitless Bridle angezeigt sein. Das hat zwar keinerlei Hebelwirkung. Durch die unter dem Pferdekopf durchgeführten und gekreuzten Kehlriemen und den ebenfalls „umgelenkten“ Zügeln entsteht aber ein gewisser Druck auf Kinn, Ganaschen und das Genick des Pferdes.
Für ein eher sensibles Pferd, das bereits auf den leichtesten Druck reagiert, empfiehlt sich - neben einem genauso sensiblen Reiter, der auch ganz ohne Zügelzug reiten kann - ein sogenanntes Soft Hackamore, welches im Gegensatz zum herkömmlichen Hackamore nur eine geringe Hebelwirkung aufweist. Gerade wenn du ein sehr empfindsames Pferd gebisslos reiten möchtest, heißt es vor allem: Nachgeben, nachgeben, nachgeben und so wenig und so selten wie möglich Druck mit den Zügeln ausüben.
Um gebisslos reiten zu können, musst du dich jedoch nicht von Anfang an auf eine dieser gebisslosen Zäumungen festlegen. Am wichtigsten ist es, dass das Verhältnis zwischen Pferd und Reiter – unabhängig von Zügelführung und Gebiss – auf gegenseitigem Vertrauen basiert.
Um dir die erste Auswahl zwischen den unterschiedlichen gebisslosen Zäumungen zu erleichtern, findest du hier noch einmal die bekanntesten gebisslosen Alternativen auf einen Blick:
• Bosal
• Hackamore
• Bitless Bridle
• Glücksrad Pferd / LG-Zaum
• Sidepull
• Halsring
Der Bosal kommt ursprünglich aus Amerika und besteht in der Regel lediglich aus einem geflochtenen Nasenband (dem eigentlichen Bosal), einem einfachen Kopfteil sowie – im Original – den aus Pferdehaaren hergestellten Zügeln. Neben dem kalifornischen Hackamore gibt es auch das mechanische Hackamore mit seiner deutlichen Hebelwirkung. Das mechanische Hackamore wird mt durchhängenden Zügeln einhändig geritten. Bitless Bridle und Sidepull funktionieren dagegen ganz ohne Hebelwirkung und eignen sich auch für Anfänger, die gebisslos reiten möchten.
Für die meisten Reiter stellt das gebisslose Reiten nicht nur eine spannende Herausforderung dar, sondern auch eine pferdefreundliche Alternative zum herkömmlichen Reitstil. Dennoch solltest du auch beim Reiten ohne Gebiss daran denken, dass das Pferdemaul nicht die einzige sensible Zone eines Pferdes ist. Druck ist immer Druck – ob im Pferdemaul oder dem ebenso empfindlichen Bereich der Pferdenase. Letzten Endes kommt es immer darauf an, dass du bei allem, was du tust, das Pferdewohl an die erste Stelle setzt.
Quellen:
https://www.cavallo.de/reittraining/profi-tipps-fuer-gebissloses-reiten/
https://verstehepferde.de/reiten-ohne-hande-zuge/
https://alessa-neuner.de/gebisslos-reiten-von-vorurteilen-und-gegenargumenten/#comment-629
Reiten lernen und auf dem Pferd tolle Abenteuer erleben. Reiten fördert den Muskelaufbau, steigert die Kondition und festigt die Beziehung zum Pferd.
Wer nach einer guten Reitschule sucht, sollte sich ausreichend Zeit nehmen, um die verschiedenen Angebote in seiner Region miteinander zu vergleichen. Das ist besonders wichtig, wenn Du gerade erst mit dem Reiten anfangen willst. Hier erfährt Du alles über Reitschulen.