Es ist ziemlich erschreckend, wenn ein Pferd aus heiterem Himmel zusammensackt und auf den Boden stürzt. Wenn es dann auch nicht mehr auf seinen Namen reagiert und keine Reflexe zeigt, packt jeden verantwortungsvollen Pferdehalter die Panik. Wahrscheinlich denkt er zuerst an eine Herzattacke oder an einen Schlaganfall. Aber nach einigen Sekunden oder wenigen Minuten steht das Pferd wieder auf, schüttelt sich und wirkt ganz normal. Mit etwas Glück hat es sich bei der ganzen Aktion nirgendwo verletzt. Hast du schon mal etwas von Narkolepsie bei Pferden gehört? Oder von Pseudonarkolepsie?
Redaktionelle Mitarbeit: Nelly Sophie Lönker, Medizinredaktion
Diese Seite soll Pferdehalterinnen und Pferdehaltern lediglich Informationen über Krankheiten und Symptome beim Pferd vermitteln. Die Informationen dürfen weder die Beratung oder Behandlung durch einen Tierarzt ersetzen noch dazu verwendet werden, eigenständig medizinische Behandlungen vorzunehmen. Sie dienen nicht zur Selbstdiagnose und/oder Selbstbehandlung und ersetzt keinesfalls die Diagnose durch einen Tierarzt.
Die Ausdrücke „Schlafkrankheit“ oder "Narkolepsie" bei Pferden stehen für zwanghafte Schlafanfälle von einigen Sekunden bis zu mehreren Minuten Dauer. Oft sacken die betroffenen Tiere dabei in sich zusammen und liegen anschließend in der Seitenlage auf dem Boden. Das Ganze wirkt auf den Beobachter wie ein menschlicher Ohnmachtsanfall – allerdings zeigt sich hier die Ohnmacht beim Pferd.
Narkolepsie und plötzliche Schlafattacken bei Pferden oder Fohlen gehören zu dem Komplex neurologischer Erkrankungen, die im Zusammenhang mit der Schlaf-Wach-Regulation im Gehirn stehen. Veterinärmediziner unterscheiden dabei zwischen der Narkolepsie vom Typ 1 und der Narkolepsie vom Typ 2. Dabei entwickelt sich die erstgenannte Narkolepsie beim Pferd häufig aus der Typ-2-Narkolepsie.
Equine Typ-1-Narkolepsien gehen mit plötzlichen Anfällen von Muskelerschlaffung (Kataplexien) einher. Ausserdem kann der Tierarzt bei dieser Form der Narkolepsie im Rahmen einer Analyse des Liquors (Nervenwassers) wahrscheinlich den Mangel eines bestimmten Nervenbotenstoffs (Hypocretin-1) feststellen. Der weist darauf hin, dass die Nervenzellen, in denen dieser Botenstoff produziert wird, geschädigt oder zerstört wurden.
Die meisten diagnostizierten Fälle von Narkolepsie beim Pferd gehören in die Kategorie „Typ 1“. Nicht unbedingt, weil diese Form der Krankheit häufiger vorkommt – sie ist nur auffälliger und leichter zu diagnostizieren. Leitsymptom für die Typ-2-Narkolepsie ist eine übermäßige Schläfrigkeit / „Abwesenheit“ auch tagsüber. Eine Typ 2 Narkolepsie beim Pferd verursacht keine Kataplexien (Zusammenbrüche wegen mangelndem Muskeltonus). Auch die Werte des Botenstoffs Hypocretin-1 / Orexin im Nervenwasser sind normal.
Trotzdem wirken Pferde, die unter einer Narkolepsie vom Typ 2 leiden, häufig verschlafen oder abwesend. Anstelle ein Pferd als „Schlafmütze“ zu bezeichnen, sollten sich manche Pferdehalter lieber mit den Symptomen von Narkolepsie vertraut machen. Die wissenschaftliche Diskussion geht aktuell nämlich dahin, dass Symptome von Narkolepsie bei Pferden oft genug durch Umweltbedingungen und/oder Stressfaktoren ausgelöst werden kann. Mittlerweile hat sich dafür der Begriff „Pseudonarkolepsie“ etabliert.
Neben Typ-1 und Typ-2-Narkolepsien unterscheiden Veterinärmediziner auch noch zwischen der juvenilen Form (bei Fohlen) und der adulten Form (bei erwachsenen Pferden). Juvenile Narkolepsie bei Pferden „wächst sich häufig aus“ – es wurde öfters beobachtet, dass die Symptome mit der Zeit ohne tierärztliche Behandlung verschwinden. Die adulte Narkolepsie bei Pferden ist allerdings unheilbar. Der Tierarzt kann zwar eventuell die Symptome medikamentös beeinflussen, aber die eigentliche Erkrankung bleibt bestehen.
Bei bestimmten Pferderassen haben Wissenschaftler das Auftreten von Narkolepsie im Fohlenalter dokumentiert. Bei den bisher beschriebenen Fällen von Schlafattacken beim Pferd ging es um Fohlen von Lipizzanern, Warmblütern, Suffolks, Shetland-Ponys, Mini-Ponys und einem Isländer-Fohlen. Sporadisches Auftreten von Narkolepsie bei erwachsenen Pferden wurde aber auch bei Rassen wie Quarter Horses, Trabern, Vollblütern und Arabern beobachtet. Dazu existieren jedoch kaum schriftliche Dokumentationen.
In einer Studie (https://doi.org/10.1080/01652176.2012.714089) von Eva Ludvikova, Seiji Nishino, Noriaki Sakai und Petr Jahn, die im im Dezember 2011 veröffentlicht wurde, untersuchten die Wissenschaftler die Entwicklung von drei Lippizaner-Fohlen mit Narkolepsie, die vom selben Hengst abstammten. Sie hatten alle drei REM-Schlaf-Anomalien und eine ausgeprägte Tagesschläfrigkeit mit fast identischen Symptomen. Die Fohlen zeigten aber weder einen Hypocretin-1-Mangel noch Zusammenbrüche aufgrund von Kataplexien.
Interessanterweise berichteten die Besitzer von zwei der drei Lippizaner-Fohlen, dass deren unnatürliche Schläfrigkeit unter anderem regelmäßig durch das Verlassen des Stalls ausgelöst wurde. Bei drei Suffolk-Fohlen, dem Isländer-Fohlen sowie bei einer erwachsenen Quarter-Horse-Stute traf das ebenso zu. Das lässt den Schluss zu, dass zumindest die Typ-2 Narkolepsie bei Pferden emotional getriggert sein könnte. Ein genetischer Zusammenhang konnte bisher (Stand 2020) nicht nachgewiesen werden.
Bei Narkolepsie zeigen Pferde Symptome wie plötzliche Schläfrigkeit, Absenken des Kopfes, Einknicken der Vorderfußwurzelgelenke / Karpalgelenke und unter Umständen auch einen völligen Zusammenbruch in eine liegende Position. Dasselbe kann aber auch durch Pseudonarkolepsie verursacht werden, die auf einen Schlafmangel beim Pferd zurückzuführen ist. Echte Typ-1 Narkolepsie geht aber zumeist mit einem Hypocretin-1-Mangel einher. Bei Pseudonarkolepsie durch Schlafmangel ist der Hypocretin-1-Wert der betroffenen Tiere normal.
Im liegenden Zustand zeigen dann viele Tiere Anzeichen einer REM-Schlafphase. Das ist die Schlafphase, in der wir Menschen träumen. Pferde machen in ihrer REM-Schlafphase dieselben schnellen Bewegungen mit ihren Augäpfeln wie wir (REM bedeutet „Rapid-Eye-Movement“, also schnelle Augenbewegungen). Eines unserer Jungpferde habe ich sogar einmal im Tiefschlaf leise wiehern gehört – es war offensichtlich am Träumen. Während der REM-Schlafphase besteht so gut wie keine Muskelspannung. Deshalb gleiten Pferde nur in der Brust- oder Seitenlage ins Land der Träume ab, obwohl sie auch im Stehen schlafen können.
In einer Studie von Christine Fuchs und anderen Wissenschaftlern, die im November 2015 unter dem Titel „Aktuelle Arbeiten zur artgemäßen Tierhaltung 2015 KTBL-Schrift 510 (pp.215-226)“ veröffentlicht wurde, legen die Autoren nahe, dass zahlreiche Fälle von Narkolepsie beim Pferd eher als „Pseudonarkolepsie“ bezeichnet werden sollten. Diese kann durch Schlafmangel ausgelöst werden.
Hier ein Überblick zu den Symptomen von Narkolepsie und Pseudonarkolepsie beim Pferd:
Bei der Diagnose einer eventuellen Narkolepsie deines Pferdes wird sich der Tierarzt an typischen Verletzungen und an deinen Aussagen zu seiner Krankengeschichte orientieren. Wahrscheinlich wird er dir raten, eine Überwachungskamera im Stall zu installieren, um noch mehr Informationen zu erhalten. Dadurch kannst du sehen, ob dein Pferd unter den aktuellen Haltungsbedingungen ausreichend REM-Schlaf bekommt oder ob es einen REM-Schlafmangel hat.
Durch eine Laboruntersuchung kann ein Tierarzt feststellen, ob bei deinem Pferd ein Hypocretin-1-Mangel besteht. Bei einigen Tieren können die plötzlichen Schlafattacken auch durch eine intravenöse Injektion von Physostigmin ausgelöst werden. Veterinärmediziner verzichten aber häufig auf diese Methode der Diagnostik, weil das Medikament Koliken auslösen kann. Sie verlassen sich bei der Diagnose von Narkolepsie beim Pferd oft lieber auf ihre Praxiserfahrung.
Die einzige Therapie gegen Narkolepsie, mit der dann und wann Erfolge erzielt wurden, ist die orale oder intravenöse Verabreichung des Antidepressivums Imipramin (Medikament gegen Depressionen). Das verhindert die Aufnahme von Noradrenalin und Serotonin in die Körperzellen, was zur Folge hat, dass sich auch der REM-Schlaf reduziert. Allerdings ist die Behandlung eines Pferdes mit Imipramin nicht frei von Risiken.
Bei oraler Verabreichung hat das Medikament eine sehr geringe Bioverfügbarkeit und wirkt deshalb nur selten. Die Injektion des Mittels kann wiederum starke unerwünschte Nebenwirkungen verursachen. Es kann die roten Blutkörperchen schädigen (Hämolyse) und Zittern, Überempfindlichkeit gegen Geräusche sowie Herzrasen (Tachykardie) provozieren. Bevor du dich für diese Behandlungsmöglichkeit entscheidest, solltest du möglichst die Meinung unterschiedlicher Veterinärmediziner anhören.
Echte Narkolepsie ist bei Pferden eher selten. Bei Fohlen tritt sie schon in den ersten Lebenswochen auf und heilt später oft spontan aus. Mittlerweile wird vermutet, dass die meisten erwachsenen Pferde mit plötzlichen Schlafattacken eher unter einem REM-Schlafmangel – der sogenannten „Pseudonarkolepsie“ – leiden. Echte Narkolepsie ist unheilbar. Eine Pseudonarkolepsie kann oft durch die Veränderung der Haltungsbedingungen beeinflusst werden.
Da die Ursachen „echter“ Narkolepsie bisher noch nicht ausreichend erforscht sind, gibt es auch keine Möglichkeit, dieser Erkrankung vorzubeugen. Eine Haltungsweise, die auf die speziellen Bedürfnisse eines Pferdes zugeschnitten ist, kann aber dazu beitragen einer Pseudonarkolepsie vorzubeugen. Fast jeder Pferdehalter versucht natürlich, seinem Tier möglichst optimale Haltungsbedingungen zu bieten.
Wenn das Pferd plötzliche Schlafanfälle zeigt, sollte er in eine Überwachungskamera investieren, um zu kontrollieren, ob es genügend REM-Schlaf abbekommt. Ist das nicht der Fall, sollte er einen Tierarzt kommen lassen, um mögliche Ursachen herauszufinden. Neben Narkolepsie und Pseudonarkolepsie können nämlich auch chronische Schmerzen oder Epilepsie plötzliche Schlafattacken verursachen.
Quellenangaben
https://beva.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.2042-3292.2010.00136.x
https://doi.org/10.1111/j.2042-3292.2010.00136.x
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