Erstveröffentlichung am 08.01.2023 - Irgendwie hat das neue Pferd im Stall einen schlaksigen Gang. Außerdem ist es nicht sehr trittsicher im Gelände und scheint manchmal über seine eigenen Beine zu stolpern. Wenn das alles auch auf deinen Freizeitkameraden zutrifft, solltest du vorsichtshalber einen Test auf Ataxie beim Pferd machen.
Normalerweise kannst du schon selbst anhand von einigen Übungen unterscheiden, ob dein Pferd nur ungeschickt oder vielleicht tatsächlich ataktisch ist. Beim geringsten Zweifel solltest du aber einen Tierarzt kommen lassen: Pferde mit Ataxie zu reiten kann nämlich ziemlich gefährlich werden.
Redaktionelle Mitarbeit: Nelly Sophie Lönker, Medizinredaktion
Diese Seite soll Pferdehalterinnen und Pferdehaltern lediglich Informationen über Krankheiten und Symptome beim Pferd vermitteln. Die Informationen dürfen weder die Beratung oder Behandlung durch einen Tierarzt ersetzen noch dazu verwendet werden, eigenständig medizinische Behandlungen vorzunehmen. Sie dienen nicht zur Selbstdiagnose und/oder Selbstbehandlung und ersetzt keinesfalls die Diagnose durch einen Tierarzt.
Ataxie ist keine Krankheit, sondern der Oberbegriff für gestörte Bewegungskoordination. Aber wie funktioniert Bewegungskoordination eigentlich genau? Wenn du zum Beispiel Durst hast und ein Glas Wasser steht vor dir, werden vom zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) Bewegungsimpulse an das periphere (äussere) Nervensystem geschickt. Die Botschaft heißt erst einmal: Glas ergreifen und zum Mund führen. Die peripheren Nerven veranlassen dann die unterschiedlichsten Muskeln, sich anzuspannen oder zu entspannen, um die entsprechenden Bewegungen auszuführen.
Die Muskeln führen also genau die richtigen Bewegungen aus, um das Glas mit Wasser exakt zu deinem Mund zu befördern – und nicht etwa zu deiner Nase. Bei Pferden und anderen Säugetieren funktioniert die Bewegungskoordination im Prinzip wie beim Menschen. Wenn sich nun aber ein Fehler in die Kommunikation zwischen dem zentralen Nervensystem und den ausführenden Gliedmaßen einschleicht, werden die Bewegungsimpulse nicht korrekt umgesetzt.
Jemand, der sehr viel Alkohol getrunken hat, kann beispielsweise nicht mehr an einer geraden Linie entlang laufen. Etwas ähnliches passiert auch bei Pferden, die unter einer Störung ihrer Bewegungskoordination leiden. Die Ursache dafür kann entweder im Gehirn oder in der Reizweiterleitung ihren Ursprung haben. Equine Ataxie wird deshalb in verschiedene Formen eingeteilt und unterschiedlich behandelt. In den nächsten Absätzen erfährst du mehr darüber.
Je nach Dauer, Art und Ausprägung der Erkrankung kann ein equine Ataxie unterschiedliche Symptome hervorrufen. Hier die auffälligsten Anzeichen für eventuell krankhafte Bewegungsstörungen beim Pferd:
Bitte eine Freundin, dein Pferde im Schritt am Führstrick durch die Länge der Bahn und dann in eine Volte zu führen. Achte auf die oben aufgeführten Symptome. Lass sie ein paar Schritte bis in eine Ecke traben – dort soll sie zum Stehen kommen. Symptome beachten.
Im Schritt führen, anhalten und rückwärts richten. Auch wieder eventuelle Symptome beachten. Lass die beiden im Schritt eine Steigung hinauf und herunter gehen und beobachte das Gangbild. „Übertreibt“ dein Pferd bei seinen Bewegungen? Wenn dein Pferd sich bei diesen Aufgaben auffällig verhält, solltest du einen Termin mit einem erfahrenen Veterinärmediziner ausmachen.
Es gibt unterschiedliche Ursachen für eine Ataxie beim Pferd. Bei der spinalen Ataxie beim Pferd – auf Englisch „Wobbler Syndrom“ – liegt eine Schädigung des Rückenmarks und damit auch der Nervenbahnen vor. Diese Schäden können durch die Folgen eines Traumas hervorgerufen werden. Ein Bluterguss kann beispielsweise auf den Wirbelkanal drücken. Oder es entstehen Haarrisse in der Knochensubstanz, die arthritische Wucherungen auslösen, welche wiederum auf das Rückenmark drücken.
Eine besonders häufige Ursache der Bewegungsstörung sind Halswirbel, die sich nicht in ihrer anatomisch korrekten Lage befinden. Schnellwüchsige Rassen wie Voll- und Warmblüter sind überdurchschnittlich häufig vom Wobbler Syndrom betroffen, Wallache und Hengste öfters als Stuten. Mittlerweile wird vermutet, dass genetische Ursachen beim Entstehen eines Wobbler Syndroms eine wichtige Rolle spielen können. Zudem kann viel proteinreiches Kraftfutter bei der Fohlenaufzucht ein beschleunigtes Wachstum hervorrufen und eine spinale Ataxie beim Pferd begünstigen.
Neben dem Wobbler Syndrom gibt es noch zwei weitere Krankheitsformen, deren Ursache im Gehirn liegt. Bei der zerebralen Ataxie ist der obere Bereich des Gehirns die Ursache der mangelhaften Bewegungskoordination – also das Großhirn (medizinisch „Cerebrum“), das Zwischenhirn oder das Mittelhirn. Die zerebellare Ataxie entsteht durch einen Schaden im Kleinhirn (medizinisch „Cerebellum“). Diese Gehirnschäden können durch Parasitenbefall, Virusinfektionen, Vergiftungen oder Traumata im Kopfbereich verursacht werden.
Wenn dein Pferd verdächtige Symptome zeigt, solltest du es auf keinen Fall mehr reiten. Pferde mit Wobbler Syndrom können unerwartet zusammenbrechen und dabei ihren Reiter verletzen. Geh lieber auf Nummer Sicher und lass den Tierarzt kommen. Er wird dir sagen, ob dein Pferd geritten werden darf oder nicht.
Manche Pferdebesitzer vermuten beim Auftreten von Leitsymptomen für das Wobbler Syndrom einen Schlaganfall beim Pferd. Das kommt aber selten vor. Auch eine Nervenentzündung beim Pferd verursacht eher lokale Symptome und keine Störungen der Bewegungskoordination.
Die Tierseuche „Dummkoller“ kann zwar ähnliche Symptome wie das Wobbler Syndrom verursachen, ist aber in Europa mittlerweile so gut wie ausgerottet. In der Türkei kommt sie allerdings noch vor.
Die fundierte Diagnose von Bewegungsstörungen beim Pferd wie beispielsweise dem Wobbler Syndrom gestaltet sich ziemlich schwierig. Beim Röntgen ist es aufgrund der Anatomie der Pferde nur selten möglich, den Wirbelkanal eventuell betroffener Wirbel zufriedenstellend abzubilden. Tiere bis zu vier Jahren weisen häufig Schäden im Bereich des dritten bis fünften Halswirbels auf. Pferde im Alter von fünf bis zwölf Jahren leiden oft unter einer Verengung des Wirbelkanals zwischen dem fünften Halswirbel und dem ersten Brustwirbel.
Nach einer ausführlichen Anamnese und einer klinischen Untersuchung (Beurteilung des Allgemeinzustands) wird dein Tierarzt eine neurologische Untersuchung durchführen. Dabei bewertet er Dinge wie Muskeltonus, Reflexe, Schmerzempfindlichkeit, das Gangbild in Schritt und Trab, die Haltung von Gliedmaßen, Kopf und Hals, die Beweglichkeit des Halses sowie das Bewusstsein und das Verhalten des Pferdes. Je nach Ergebnis können weiterführende Untersuchungen notwendig werden.
Beim erstmaligen Auftreten von massiven Bewegungsstörungen wird ein Tierarzt wahrscheinlich als Erste-Hilfe-Maßnahme schmerzstillende und entzündungshemmende Medikamente spritzen. Falls eine Rangelei auf der Koppel der Auslöser war, kann es durchaus sein, dass lediglich ein Bluterguss irgendwo aufs Rückenmark drückt und die ganze Sache in einigen Tagen ausgestanden ist. Wenn dein Pferd kein Rehe-Kandidat ist, kannst du dich in so einem Fall auch mit einer Gabe von kortisonhaltigen Präparaten einverstanden erklären. Nichts wirkt besser und schneller gegen Schwellungen – und der Zweck heiligt manchmal die Mittel.
Ist eine chronische Ataxie beim Pferd heilbar?
Natürlich wird dein Tierarzt auch bestimmte Viruserkrankungen, Parasitosen oder eine Vergiftung mithilfe spezifischer Untersuchungen ausschließen. Falls die Symptome nach einigen Tagen nicht abklingen, hast du höchstwahrscheinlich mit dem Wobbler Syndrom zu tun – der häufigsten Koordinationsstörung bei Pferden. Chronische Ataxien beim Pferd sind nicht wirklich heilbar. Sie können aber palliativ (konservierend) behandelt werden. Die Symptome können durch medikamentöse und/oder operative Behandlung oft erfolgreich vermindert werden. In manchen Fällen – beispielsweise bei Wobblern nach einer OP zur Versteifung zweier Halswirbel – können sie sogar komplett verschwinden.
Bei einer Ataxie beim Pferd sollten Medikamente nur in Rücksprache mit dem Tierarzt gegeben werden.
Die tierärztliche Therapie von Störungen der Bewegungskoordination bei Pferden sollte im Optimalfall in Zusammenarbeit mit einem kompetenten Pferde-Osteopathen und/oder einem Pferde-Physiotherapeuten erfolgen. Oftmals haben auch schon unterstützende Behandlungen durch qualifizierte Pferde-Homöopathen eine positive Wirkung gezeigt.
In den USA wurde bei Fohlen mit Wobbler Syndrom sehr häufig eine Unterversorgung mit Vitamin E festgestellt. Dein Tierarzt kann das auch bei deinem Pferd testen. Bei einem Vitamin-E-Mangel findest du viele Zusatzfuttermittel auf dem Markt, mit denen du die Vitamin-E-Versorgung deines Pferdes sicher stellen kannst. Allerdings kannst du durch Zusatzfuttermittel keine Fehlbildungen an Wirbeln oder arthritische Schäden beseitigen.
Gegen Bewegungsstörungen, die vom Gehirn ausgehen, kannst du nur durch ein gut durchdachtes Stallmanagement vorbeugen. Entferne Giftpflanzen von der Weide, achte auf eine regelmäßige Entwurmung, untersuche dein Pferd in der entsprechenden Saison regelmäßig auf Zecken und vermeide den Kontakt mit fremden Pferden, um Viruserkrankungen vorzubeugen.
Um das Wobbler Syndrom bei Fohlen und Jungpferden zu vermeiden, solltest du nur wenig proteinreiches Kraftfutter füttern, damit sie nicht zu schnell wachsen. Besser als Kraftfutter und Heu ist freier Auslauf auf einer Weide mit pferdegerechtem Grünfutter. Das enthält noch dazu ausreichend Vitamin E. Außerdem unterstützt die Koppelhaltung von Jungpferden das Immunsystem, trainiert ihre Muskeln (und deren Koordination) und bringt ihnen bei, sich in ein soziales System einzufügen.
Massive ataktische Bewegungsstörungen wie beim Wobbler Syndrom sind für den Betrachter zwar ziemlich verstörend, können aber auch nur vorübergehend sein. Bei chronischen Fällen sind Diagnose und Behandlung eher schwierig. Du solltest aber auf jeden Fall dein Pferd einem Tierarzt vorstellen, wenn es Symptome von Störungen der Bewegungskoordination zeigt: Damit stellst du sicher, dass du mit ihm gefahrlos ausreiten kannst.
Quellenangaben
https://afs.ca.uky.edu/content/wobbler-syndrome-horses
https://ceh.vetmed.ucdavis.edu/health-topics/cervical-vertebral-compressive-myelopathy-cvcm
http://omafra.gov.on.ca/english/livestock/horses/facts/info_wobbler.htm
https://flexikon.doccheck.com/de/Ataxie_(Pferd)
https://www.vetfolio.com/learn/article/update-on-equine-wobbler-syndrome
Hier findest du gut strukturierte Beschreibungen sämtlicher wichtiger Pferdekrankheiten – für medizinische Laien verständlich erklärt.